Wer hat hier gewohnt? Teil I

06.05.2021

Spuren jüdischer Geschichte: An den rechten Türpfosten im Obergeschoss finden sich Spuren einer Mesusa-Kapsel.

Einblick in die jüdische Geschichte

Nachdem wir uns so lange mit dem Haus und seinem Wiederaufbau im Museum beschäftigt haben, gehen wir heute mal ein paar Schritte zurück in der Zeitgeschichte und zeigen, wie das Haus 1797 ausgesehen haben könnte. Dabei soll eine Frage natürlich nicht unbeantwortet bleiben: Wer hat dort eigentlich gewohnt?

1786 erwarb Clemens Lothar von Fürstenberg zu Herdringen das Gut Burgholdinghausen. Er erlaubte einigen jüdischen Familien die Niederlassung auf seinem Gebiet. So kam es, dass Benjamin Moses, ein Viehhändler, 1797 den Freiherr Friedrich Leopold von Fürstenberg um Erlaubnis bat, sich in Holdinghausen (heute Burgholdinghausen) niederzulassen. Außerdem bat er um den Kauf eines Grundstückes, um hier ein Haus zu bauen.  

Der Kaufvertrag besagt: 1. Der Graf von Fürstenberg verkauft ein Grundstück von 25x25 Fuß an Moyses. 2. Ein durch den Grafen Bevollmächtigter weist das Grundstück aus und misst es aus. 3. Der Verkäufer sucht das Grundstück aus, der Käufer hat mit dieser Wahl zufrieden zu sein. 4. Der Käufer darf lediglich ein Wohnhaus darauf bauen. 5. Kaufpreis: 60 Kronenthaler (jeden zu einem Reichstaler, 55 Stuber gerechnet).

Bereits am 5. April 1797 wurde der Bauplatz mit einer größeren Abmessung von 35x35 Fuß abgesteckt. Dies entspricht ca. 10x10 Metern und stimmt mit den Maßen unseres Hauses überein. Als Benjamin Moses mit seiner Ehefrau 1800 in das Haus einzog, soll auch sein Bruder Jakob Moses, der als „Brotgenosse“ in Benjamins Geleitbrief aufgeführt war, mit seiner Familie das Haus bewohnt haben. Zu Beginn haben dort demnach zwei Familien gewohnt. Die zwei Stuben und die beheizbaren Räume im Erdgeschoss sind daher sehr wahrscheinlich darauf zurückzuführen.

Schaut man sich den Grundriss und die Gestaltung des Hauses zum Zeitpunkt der Erbauung an, so war es ein sehr modernes Haus. Es gab eine offene Küche, beheizbare Stuben, eine Herdstelle mit Rauchfang, einen Lagerraum und mehrere Zimmer im Obergeschoss. Auch die Außentür an der rechten Traufseite muss es schon gegeben haben.

  • Ein rekonstruierter Grundriss. Links der Erbauungszustand 1797, rechts der Grundriss, wie er heute noch im Haus zu sehen ist.

  • Eine rekonstruierte Ansicht. Links der Erbauungszustand 1797, rechts die Ansicht, wie sie heute zu sehen ist.

Hier war einst die offene Küche mit Herdstelle und Rauchfang. Die Wand, die im Vordergrund zu sehen ist, gab es nicht. Die gemauerte Herdstelle ist gut zu erkennen. Spuren eines Rauchfanges konnten wir am Fachwerkskelett finden.

Nachdem 1804 die erste Ehefrau von Benjamin Moses verstarb, erlaubte der Freiherr gegenüber des Wohnhauses einen jüdischen Friedhof anzulegen. Diesen gibt es heute noch. Benjamin Moses heiratete zwei weitere Male.

Auf Grund von Zahlungsschwierigkeiten ging das Haus schon früh an den Freiherren zurück, der es seitdem an die Familie verpachtet hat. Eine der Töchter von Benjamin Moses, Sahra Benjamin, heiratete 1827 den Metzger Seligmann Meier, sie übernahmen das Haus und bekamen 7 Kinder.

1836 und 1838 wird das Haus im damaligen Feuerversicherungs-Kataster so beschrieben:

„Ein zweigeschossiges Gebäude mit Strohdach und Fachwerkwänden. Wohnstuben, Schlafstuben, Stallungen und einer kleinen Dreschkammer sind unter einem und demselben Dache. Das Gebäude ist noch in einem ziemlich guten Zustand.“

Anhand der Viehzählung aus dem Jahr 1856 lässt sich außerdem nachvollziehen, dass die Familie in dem Haus gemeinsam mit 4 Schafen und 2 Rindern gelebt hat.

Aktenauszug aus dem Archiv Fürstenberg Herdringen, hier ist eine Viehzählung von 1856 dokumentiert.

Nachdem Sahra Benjamin 1855 und ihr Mann 1868 verstarben, übernahm ihr Sohn Benjamin Meier das Haus. Dieser regelte den Nachlass der Eltern. Ende November 1871 endete das Pachtverhältnis und so auch die jüdische Geschichte des Hauses.

Mesusa-Kapseln und andere Spuren

Das Haus aus Burgholdinghausen war bereits damals etwas ganz Besonderes in der Region. Wir wissen heute, dass es sich hierbei um den ersten nachweisbaren jüdischen Hausbau im Kreis Siegen-Wittgenstein handelt. Spuren der jüdischen Geschichte finden sich bis heute: Die Inschrift über der Tür, die typische Verzierung der Eckständer des Vordergiebels mit Weinreben. Aber auch im Inneren findet man Spuren der jüdischen Geschichte. Auf den Türbekleidungen im Obergeschoss sind noch heute Spuren von Mesusa-Kapseln zu finden. Eine Mesusa ist eine Schriftkapsel, die an den rechten Türpfosten eines jeden Zimmers angebracht wird. In der Kapsel befindet sich ein kleines Stück Pergament mit Versen aus der hebräischen Thora. Sie sollen die Bewohner und das Haus beschützen, eine Art Segenswunsch.

  • Im Obergeschoss sind noch die originalen Türbekleidungen vorhanden. Am rechten Türpfosten finden sich Spuren einer Mesusa-Kapsel.

  • Auf dem Foto ist die Tür zum Elternschlafzimmer zu sehen.

  • Vergleichsbeispiel Haus Uhlmann: Auch hier sind Spuren einer Mesusa-Kapsel zu finden.

  • So sieht der Inhalt am Beispiel der Mesusa-Kapsel aus dem Haus Uhlmann aus.

Kategorie: Geschichte